Wir sind in der heutigen Welt (digital) unglaublich vernetzt. Dennoch scheinen Menschen einsamer zu sein wie nie zuvor. Besonders in der Corona-Zeit hat das Gefühl der Einsamkeit bei vielen zugenommen und bei Telefonseelsorgen scheint fast jede vierte Anruferin über Einsamkeit zu sprechen. (ZDF Panorama 12/2022). Ebenso nimmt die Einsamkeit im Alter anscheinend vermehrt zu.

Claudia Kielmann lädt in ihrer Blogparade: Einsam muss nicht sein: Deine Tipps gegen Einsamkeit, dazu ein, sich mit dem Thema Einsamkeit auseinanderzusetzen. Ich finde dieses Thema unglaublich wichtig. Besonders auch in Gesprächen mit anderen Hochsensiblen kam das Thema Einsamkeit unter der Oberfläche hervor. Es scheint mir aber trotz der Relevanz tabu verhaftet zu sein, denn über Einsamkeit spricht man nicht. Dabei ist das Thema sehr wichtig und hat längerfristig Einfluss auf die Gesundheit von Menschen und es ist weder ein Mangel noch ein Zeichen von Schwäche.

Zwei Fragen, die ich in diesem Zusammenhang aber direkt stelle, sind: Was bedeutet eigentlich Einsamkeit für dich? Und was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?

Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?

Hast du dir diese Frage schon einmal gestellt? Ich finde sie unglaublich wichtig und auch kraftvoll, sich darüber Gedanken zu machen.

Extraversion als Richtwert?

Besonders in der heutigen Zeit, in der Extraversion gefühlt als das Nonplusultra gilt, habe ich das Gefühl, dass Alleinsein in einigen Fällen mit Einsamkeit stigmatisiert wird. Wenn man nicht auf jeder Party tanzt und lautstark seine Meinung äußert oder sich in Meetings aktiv beteiligt, dann wird einem schon in der Schule vermittelt, dass etwas nicht stimmt. Also der Fritz muss sich aber mehr beteiligen, um eine gute Note zu bekommen. Ich frage mich, warum wir in unserer Gesellschaft nicht alle Qualitäten schätzen.

Komischerweise wird einem Extrovertierten nie gesagt, sei doch einfach mal still, sondern immer nur andersherum. Dabei kennen wir doch alle das Sprichwort: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Es scheint aber keinen Wert zu haben, so viele Menschen halten Stille nicht aus und reden sich um Kopf und Kragen und umgeben sich permanent mit anderen Menschen und Ablenkung und Beschallung rund um die Uhr.

Dagegen scheinen die Menschen, die gerne allein mit sich sind und die vor allem auch allein mit sich sein können, gleich unterschwellig komisch. Die meisten introvertierten Hochsensiblen wissen sicherlich, was ich meine. Ich brauche viel Zeit für mich allein, um die vielen Sinnesreize zu verarbeiten und meinen Akku wieder aufzuladen. Ich bin damit mit rund 20 % weiteren Hochsensiblen in der Bevölkerung quasi eine Minderheit. Das Spannungsfeld, was ich täglich lebe, ist sozial im Kontakt zu bleiben ohne den Anschluss mit anderen (den Extrovertierten) zu verlieren und dabei meine Grenzen zu wahren und mich ausreichend zurückzuziehen.

Alleinsein

Entsprechend bedeutet Alleinsein für mich, dass man bewusst Zeit mit sich alleine verbringt und diese Zeit auch genießt, um zur Ruhe zu kommen und Kraft zu tanken. Man ist ganz neutral betrachtet allein, ohne andere Menschen um sich zu haben. In der heutigen Zeit gerne auch mit „Me-Time“ assoziiert.

Besonders als Hochsensible ist das ganz wichtig, um nicht in einem Zustand permanenter Übererregung und Reizüberflutung zu sein bzw. um zu verhindern, in diesen Zustand zu kommen.

Es ist aber meiner Meinung nach für alle Menschen wichtig, da eine dauerhafte Aktivierung des Sympathikus nicht gesund ist. Damit ich aber in den Sympathikus und Entspannungszustand kommen kann, braucht es ausreichend entspannte Zeit für sich selbst in der Stille.

Einsamkeit

Einsamkeit hingegen ist ein Zustand, den ich nicht selbst wähle und möchte. Und ich behaupte, dass fast jede von uns das Gefühl der Einsamkeit kennt und sich mindestens einmal in ihrem Leben einsam gefühlt hat.

Einsamkeit hat viele Gesichter und es ist schwierig sie zu messen oder zu vergleichen, aber in dem Moment, wo ich mit dem Alleinsein Probleme habe, mich nicht wohlfühle und unfreiwillig alleine bin, fühle ich mich einsam. Es ist niemand für mich da. Ebenso kann ich in Kontakt mit anderen Menschen und mitten im gesellschaftlichen Leben einsam sein, wenn ich mich unverstanden fühle und ausgeschlossen von einer Gruppe.

Das ist ein Thema, was auch viele Hochsensiblen kennen, da sie für ihre Sensitivität häufig abgelehnt und belächelt werden. Oft haben sie das Gefühl, nicht so akzeptiert zu werden, wie sie sind. Sie haben das Gefühl sich verstecken zu müssen und können mit wenigen Menschen oder niemandem offen reden und sich wirklich in ihrer Sensitivität mit all ihren Facetten zeigen. Zudem ist es für einige aufgrund des Ruhebedürfnisses anstrengend, mit sozialen Kontakten und Einladungen umzugehen bzw. diese auch abzulehnen, wenn er gerade nicht passt. Sie fühlen sich unverstanden und fehl am Platz. Das kann Gefühle von Einsamkeit hervorrufen.

Erlaubst du es dir, alleine zu sein?

Wir sind als Menschen soziale Wesen und brauchen den Kontakt mit anderen, allerdings in ganz verschiedenen Ausprägungen. Dazu möchte ich kurz über mich selbst erzählen, denn ich weiß, wovon ich rede. Ich brauche sehr viel Zeit für mich alleine, die ich im Arbeitsalltag in Anstellung kaum habe.

Eremit versus soziale Kontakte

Lange habe ich mich zerrissen und falsch gefühlt. Ich habe früher sogar zum Teil im Studium oder auf der Arbeit gelogen, wenn mich jemand nach meinem Wochenende gefragt hat, obwohl ich es hasse zu lügen. Aber es fühlte sich bei all den gefühlt super aktiven Menschen so an, als wenn ich komisch, langweilig und einsam und bemitleidenswert bin, wenn ich sage, dass ich einfach nichts gemacht habe und das gemütliche Wochenende alleine genial fand. Damals wusste ich noch nicht, dass ich hochsensibel bin und viel Ruhe brauche. Das Wissen hat mir geholfen, mich mehr zu akzeptieren.

Ich lebe in einem Spannungsfeld zwischen Eremitendasein und Community, also zwischen dem Alleinsein und in sozialem Kontakt mit anderen Menschen. Richtig bewusst geworden ist mir das erst durch den Aspekt der Hochsensibilität und durch ein Human Design Reading, was ich auf dem ersten Ayurveda-Festival im Jahr 2022 in Bad König gewonnen hatte. Hier geht auch nach wie vor mein Dank an Mélanie Lambertz für das tolle Reading und die Erklärungen.

Alleine ausgehen

Ich habe mir das Alleinsein also lange nicht wirklich erlaubt bzw. es versteckt. Erst in Japan habe ich vermehrt hinterfragt, warum das bei uns eigentlich so gefühlt komisch ist, etwas alleine zu machen. Alleine essen gehen oder alleine ins Kino gehen etc. In Japan ist das üblich, obwohl die japanische Kultur ja viel kollektivistischer geprägt ist als unsere, in der Individualität oberste Priorität hat.

Ich war am Anfang total gestresst und nervös, wenn ich mal alleine essen war. Ich hatte in Europa das Gefühl, dass man mich bemitleidet und mich als einsam ansieht. Aber warum eigentlich? Ist das Ganze nur ein Konstrukt in meinem Kopf, weil ich mir Gedanken darüber mache, was andere von mir denken und Angst vor Ablehnung habe? Oder steckt da wirklich auch gesellschaftlich etwas dahinter?

Diese Fragen möchte ich so offen stehen lassen und dich einladen, darüber auch einmal nachzudenken. Vielleicht kennst du das Gefühl, auch mal etwas alleine machen zu wollen, aber traust dich nicht, weil man das ja nicht so macht und es so aussieht, als wenn man keine Freunde hat? Vielleicht kommt es für dich auch überhaupt nicht in Frage?

Und da gibt es für mich auch schon eine feine Überschneidung zum Thema Einsamkeit, denn wann fühlst du dich einsam? Kann es nicht in einigen Fällen und Situationen auch sein, dass Alleinsein als Einsamkeit definiert wird, weil es einem von außen so impliziert wird und man sich dadurch schlecht fühlt wie in meinem Fall?

Wann fühlst du dich einsam?

Magst du einmal für dich hinschauen, wann du dich einsam fühlst?

Kannst du Nähe zulassen?

Wünschst du dir mehr Verbundenheit, hast aber das Gefühl, dass es schwierig ist? Unbewusste Verhaltensmuster führen manchmal zu dem Paradoxon, dass wir uns tiefe Verbundenheit und Freundschaft(en) wünschen, aber es klappt nicht. Dabei lassen wir das unbewusst vielleicht gar nicht zu, weil wir es nie gelernt haben, Nähe zuzulassen. Vielleicht hast du gelernt, dass Nähe unsicher für dich ist. Andere Menschen sind unsicher. Und so schützt du dich vielleicht unbewusst und lässt andere Menschen gar nicht wirklich an dich heran, was dir nicht bewusst ist. Die anderen spüren dieser aber.

Ich spreche auch hier zum Teil aus eigener Erfahrung, denn ich brauche etwas, bis ich Menschen vertraue und warm werde. Ich habe auch nicht so viel Kapazität und Energie, mich mit vielen Menschen zu treffen und zu vernetzen, da ich mir Tiefe wünsche. Und das braucht u. a. Zeit. Das spiegele ich mit meinem Auftreten offensichtlich auch, sodass ich nur bedingt Nähe zulasse. Neue Menschen zu treffen, kostet mich gefühlt Energie. Hier dachte ich lange auch, dass etwas falsch mit mir ist, weil ich nur eine Handvoll enge Freunde habe und nicht ein Netzwerk, wie gefühlt alle anderen. Aber letztendlich mache ich instinktiv genau das, was meinen Werten und meinen Möglichkeiten entspricht. Weniger ist mehr, dafür mit Tiefgang. Small Talk ist ohnehin nicht so meins.

Einsam nach Veränderungen

In meinem Psychologie-Studium habe ich z. B. gelernt, dass es für Eltern unglaublich herausfordernd ist, wenn die Kinder wieder aus dem Haus gehen. Man hat sich dann jahrzehntelang in seiner Rolle als Eltern bewegt und auf einmal herrscht Stille und Leere im Haus. Man wird als Elternteil nicht mehr gebraucht und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Das ist für viele verständlicherweise nicht leicht. Hier kann erst einmal ein Gefühl der Einsamkeit entstehen, da eine Rolle wegfällt und eine Leere entsteht.

Vielleicht bist auch in eine neue Stadt gezogen und kennst niemanden? Das Gleiche passiert häufig auch nach einer Trennung, besonders wenn man zusammengelebt hat und plötzlich alleine ist. Es fehlt im ersten Moment etwas und das Alleinsein ist ungewohnt. Und ganz intensiv ist dieses Gefühl natürlich, wenn eine geliebte Person verstirbt und ein Loch hinterlässt.

Anregungen für den Umgang mit Einsamkeit

Ich finde es schwierig pauschale Tipps zu geben, da jede von uns Einsamkeit anders wahrnimmt, aber möchte ein paar Anregungen geben.

Dein Körper als Anker

Mir hilft die Arbeit mit dem Körper sehr, damit ich wieder in meine Ressourcen komme. Wenn die Einsamkeit überhandnimmt, kann das dazu führen, dass ich mich gelähmt fühle und in eine negative Spirale komme.

Hier hilft es mir, den Körper als Anker zu nehmen. -> Ich möchte dich einladen einmal in deinen Körper zu spüren, wenn du wahrnimmst, dass du dich einsam fühlst. Wie nimmst du die Einsamkeit im Körper wahr? Fühlt es sich an einer Stelle im Körper eng an, fällt dir das Atmen vielleicht schwer oder wird deine Atmung flacher? Wird es dir warm oder kalt?Wenn du dich rein auf deinen Körper konzentrierst, bringt dich das raus aus den oftmals negativen Gedanken. Wenn du hier Fragen zu hast, melde dich gerne bei mir.

Was macht dir Spaß?

Als nächster Schritt würde ich dich dann einladen zu schauen, was für soziale Aktivitäten dir Spaß machen. Das ist für jede total unterschiedlich. Vielleicht magst du Yoga, Sport, Schreiben, Tanzen, kreatives Malen, Kajak fahren, Jodeln oder was auch immer dir Spaß macht. Ich finde wichtig, wieder in seine eigene Freude zu kommen und für sich zu schauen, wie man seinen Alltag bereichern kann. Im besten Fall ergeben sich dann über die gemeinsame Leidenschaft Kontakte. Es mag vielleicht etwas Überwindung kosten, wenn du alleine hingehst. Aber was kann schlimmstenfalls passieren? Wenn es dir nicht gefällt, dann schaust du woanders. Manchmal brauchen Dinge ihre Zeit. Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist, aber es lohnt sich! Und du bist nicht alleine! Es spricht nur niemand darüber.

Manchmal sehe ich auch auf Social Media Kanälen Aufrufe, sich zu treffen und vernetzen. Wenn du offen dafür bist, dann sage ich: Go for it! Ich würde nur vorschlagen, mit einem wachsamen Auge bei den sozialen Medien wie Facebook und Instagram unterwegs zu sein, da es dort auch viele Fake-Profile gibt und Verabredungen nicht so verbindlich scheinen. Achte hier auf deine Sicherheit. Eventuell erscheint die Person trotz einer Zusage nicht, aber dann hast du es immerhin probiert.

Darüber sprechen und sich öffnen

Die Krux am Thema Einsamkeit: Wenn wir uns einsam fühlen, ist das für Außenstehende nicht immer, oftmals gar nicht, zu erkennen. Wir müssen uns ihnen erst offenbaren. Manchmal hilft es, darüber zu reden und sich zu öffnen. Denn du bist mit dem Thema nicht alleine.

Sich Hilfe suchen

Ganz wichtig: Einsamkeit ist keine Schmach und keine Schwäche! Wir allen kennen Einsamkeit in unserem Leben. Ebenso ist es keine Schwäche sich Hilfe zu suchen, ganz im Gegenteil. Es erfordert Mut! Wenn du mit dem Gefühl der Einsamkeit gelähmt bist und nicht mehr weiter weißt, dann ist es wichtig, sich professionelle Hilfe in Form einer Therapie zu suchen. Ich bin diesen Schritt in meinem Burn-out auch gegangen und kann dich nur dazu ermutigen. Es erfordert etwas Überwindung und braucht Zeit jemanden zu finden, aber es lohnt sich!

Eine erste Anlaufstelle kann auch eine Telefonseelsorge sein, z. B. unter dieser Nummer (24 h, 365 Tage im Jahr): 0800.1110111 oder im Chat unter online.telefonseelsorge.de

Gegen Einsamkeit – Verbundenheit schenken

Eine schamanische Sichtweise ist, dass wir alle in Verbindung zueinander stehen und nicht getrennt sind. Diese Vorstellung hat in meinem Leben viel verändert und ich fühle mich als Teil von etwas Größerem.

Dazu passt auch ein Projekt, das ich dir vorstellen möchte, wenn du selbst einsame Menschen unterstützen möchtest. Es passt gerade auch sehr in die kommende Weihnachtszeit, in der sich viele Menschen ohne Angehörige einsam fühlen,

Gemeinsam gegen Einsam – Die Aktion Post mit Herz ist eine wunderschöne Idee gegen die Einsamkeit, um Kontakt herzustellen, Betroffenen Freude zu schenken und Mut zu machen.

Dein Beitrag hierzu ist, eine Karte an eine soziale Einrichtung zu schicken, die einsame Menschen betreut. Die Mission dahinter ist, dass jeder einsame Mensch eine Post mit Herz bzw. von Herzen bekommen soll. 

Wie stehst du zum Thema Einsamkeit und Alleinsein?